Über Heilige zu schreiben, die den Märtyrertod erlitten haben, ist eine schwierige Aufgabe. Vielleicht fällt es manchen Priestern auch schwer, über sie zu predigen. Das Martyrium ist vor allem die Gabe, in einem Moment extremen Widerstands Zeugnis für den Glauben abzulegen.
Dieser Glaube ist in diesem Moment für den Heiligen ein Geschenk, das er nicht für sich behält, sondern anderen inmitten des Chaos des Hasses ein Beispiel der Liebe zeigt, wie Christus selbst es zeigte, als er zwischen zwei Dieben am Kreuz gekreuzigt wurde. Eine ähnliche Liebe zeigte die heilige Maria Goretti, ein einfaches Mädchen mit reiner Seele, das wir im Gebet anrufen, um die Gnade der Vergebung und Barmherzigkeit von Gott selbst zu erlangen.
Maria Goretti lebte in der italienischen Kleinstadt Corinaldo. Sie war eines von sieben Kindern einer Familie, die einen eigenen Bauernhof besaß, den sie bewirtschaftete und der ihr ein Einkommen verschaffte. Leider verloren sie ihren Bauernhof und mussten in die Kleinstadt Nettuno bei Rom ziehen, wo sie als Hilfsarbeiter auf fremden Bauernhöfen arbeiteten. Während dieser Zeit kümmerte sich Maria um ihre jüngeren Geschwister. Zu allem Überfluss starb ihr Vater an Malaria, als sie neun Jahre alt war. Von Anfang an fallen uns zwei Dinge auf, die einen Menschen zum Opfer oder zum Märtyrer machen können. Ich werde den Unterschied gleich erklären.
In Maria Gorettis Leben waren zwei Voraussetzungen für Missbrauch: die wirtschaftliche Unsicherheit der Familie, die sie in den Augen der Dorfbewohner „weniger wertvoll“ machte als andere, und der Tod des Vaters, des Ernährers und Beschützers der Familie. Dies ist nicht nur eine süße, hagiografische Geschichte, die mit einem Gebet endet, auch wenn wir sie oft so verpacken möchten. Dies ist eine Horrorgeschichte mit einem himmlischen Ende, aber dennoch eine weibliche und existenzielle Horrorgeschichte.
Angesichts dieser beiden erschwerenden Umstände war es nur eine Frage der Zeit, bis ein verbrecherischer Mann versuchen würde, Maria oder ein anderes Mädchen (oder einen Jungen) wie sie zu missbrauchen. Marias Familie lebte, gerade zu ihrer eigenen Sicherheit bei einem von ihnen – Alessandro Serenelli. Alessandro wusste, dass Maria viel Zeit allein zu Hause verbrachte. Schule war für sie keine Option, daher verbrachte sie viel Zeit mit Hausarbeit. Ihre Mutter war oft weg. Auch er hatte früh sein eigenes Kreuz zu tragen – seine Mutter war psychisch krank, sein Bruder auch, und sein Vater litt an Alkoholismus. In einem solchen Umfeld wuchs Alessandro zu einem Mann heran, der Missbrauch, Alkoholismus und die mangelnde medizinische Versorgung bei psychischen Erkrankungen als normal betrachtete. Vielleicht taten das alle. Sie schwiegen über Alkoholismus, über psychische Erkrankungen, über häusliche Gewalt und schließlich über eine der schlimmsten Formen des Missbrauchs, den sexuellen Missbrauch von Kindern.
Denn vergessen wir nicht: Als Alessandro Maria zu verführen versuchte, war sie zwölf Jahre alt, noch ein Kind. Und es war nicht das erste Mal, dass er sich ihr ohne ihre Zustimmung oder Provokation auf diese Weise näherte. Ja, wir müssen auch ihn verstehen. Wahrscheinlich hatte er niemanden, der ihm den Umgang mit Mädchen beibrachte; er betrachtete sie höchstwahrscheinlich als eines der nützlichen „Dinge“ im Haushalt, welches, nun ja, eben solche Dienste leistete. Er hatte keine Ahnung, dass eine Frau eine lebendige Seele mit eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Überzeugungen ist, und er näherte sich ihr mit der Absicht, sie sexuell auszubeuten, indem er sie verführte. Sie widerstand ihm, wie schon so oft zuvor. Ja, denn ihr war die Tugend des Glaubens gegeben, die richtig zwischen dem unterschied, „was Gott gefällt und was nicht“.
Und man muss nicht lange darüber nachdenken, was das ist: Was Gott nicht gefällt, gefällt auch uns nicht, zumindest ist es am Ende immer so. Aber sie widersetzte sich ihm auch, weil sie sich weigerte, jemandes Objekt der Befriedigung oder Misshandlung zu werden. Daraufhin stach Alessandro, wütend darüber, dass er sie nicht haben konnte, vierzehn Mal mit einem Messer auf sie ein. Während dieser schrecklichen Tat soll Maria um seine Vergebung gebetet haben.
Was wir bisher gehört haben, ist die Geschichte von Maria Goretti – dem Opfer. Im Krankenhaus, nach einer mehrstündigen Operation, als klar war, dass sie nicht überleben würde, wurde Maria Goretti – die Zeugin – geboren. Der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes.
Auf ihrem Sterbebett betete sie, noch bei Bewusstsein, für den Täter, dass ihm vergeben werde und dass sie sich eines Tages im Himmel wiedersehen würden. Hierin liegt eine Warnung für uns alle: Die Menschen, die uns verletzt haben, könnten eines Tages mit uns im Himmel landen. Wollen wir das? Verstehen wir den Himmel richtig als vollkommene Vereinigung mit Gott, in Gemeinschaft mit Jesus Christus, durch den Heiligen Geist? Wollen wir, dass möglichst viele Seelen gerettet werden, wenn nicht alle? Beten wir darum? Um eine Heldentat zu vollbringen, müssen wir nichts Besonderes tun. Wir müssen vielleicht nicht einmal unser Zimmer verlassen, sondern in der Stille unseres Herzens Gott bitten, anderen zu vergeben, die uns verletzt haben, und dass wir ihnen immer wieder vergeben. Vielleicht kann uns das Sakrament der Beichte helfen zu klären, wem wofür Vergebung oder welches geistliche Gespräch nötig ist. Maria wusste das sicherlich. Doch sie schwieg nicht über die Gewalt. Als der Polizeikommissar eintraf, zeigte sie den Täter an. Sie hatte keine Angst, dass irdische Gerechtigkeit an ihm vollstreckt werden würde. Auch wir dürfen über die erlebte Gewalt nicht schweigen, denn 1.) dann wächst in uns der Groll und 2.) der andere hat keine Möglichkeit, für seine Taten Buße zu tun.
Alessandro wurde wegen versuchter Vergewaltigung und Ermordung von Maria Goretti zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Zunächst war er der verbitterte, reuelose Gefangene, der sich weigerte, sich der Tat zu stellen, für die er seine Strafe verbüßte.
Bis er einen Traum hatte: Im Traum erschien ihm Maria und gab ihm zwei Lilien. Diese Lilien waren ein Zeichen der Reinheit ihres Herzens und ihrer Vergebung, die zu Gottes Vergebung geworden war. Doch als er versuchte, sie in die Hand zu nehmen, zerfielen die Lilien zu Staub. Alessandro erwachte erschüttert, wissend, dass er nicht in den Himmel kommen würde, wenn er nicht Gott um Vergebung bat (die er durch Maria bereits hatte) und sich selbst vergab. Von diesem Moment an war der mürrische und verbitterte Gefangene ein freier Mann, noch bevor er das Gefängnis verlassen hatte.
Als er nach 27 Jahren Haft endlich freigelassen wurde, suchte er Marias noch lebende Mutter Assunta auf und bat sie um Vergebung. Doch sie war bereits in die heiligen Fußstapfen ihrer Tochter getreten – sie empfing ihn mit bereitwilliger Vergebung. Gemeinsam gingen sie zur Messe und empfingen die heilige Kommunion. Und noch einmal muss ich Sie vor einem warnen: Dies ist kein Epilog eines Heiligenbildes, keine süße Geschichte mit Happy End. Wer weiß, wie viel Kampf mit sich selbst, der Wunsch nach Vergebung, schlaflose Nächte, Gebete, Beichten und Trauer diese Mutter durchmachen musste, bevor sie den Mörder ihrer Tochter mit offenen Armen empfangen konnte.
Die Mutter und Alessandro Serenelli nahmen gemeinsam an ihrer Heiligsprechung teil. Und er verbrachte sein Leben als Franziskanermönch und pflegte die Klostergärten, nur ein schwaches Abbild des Gartens, in dem er eines Tages dem Herrn begegnen würde, wenn er in den Himmel käme.
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