Die erschütternden Ereignisse an einer Grazer Schule, der mörderische Amoklauf eines Jugendlichen, die jungen Mordopfer, die getötete Lehrerin und die Verletzten haben auch uns verwundet und stellen Fragen an die ganze Gesellschaft und ihre Menschen. Schüler, Lehrer, Eltern, Betroffene und alle, die noch zur Erschütterung fähig sind und sich dem Leben stellen, bleiben mit vielen Fragen zurück.
Österreich hat getrauert, nicht nur Graz, alle Schulen, nicht nur das BORG in der Dreierschützengasse, Kinder und Jugendliche stellen Fragen, die bisher noch nie gestellt wurden, Lehrer und Eltern sind besorgt, hoffentlich nicht überbesorgt. Helfer leisten Übermenschliches, Politiker bringen sich und neue Gesetzesvorgaben in Bewegung, Staatstrauer wird verordnet und der Ausnahmezustand wird alltäglich. Die gemeinsame Trauer, das Mitfühlen und Mitweinen, das Entzünden der Kerzen, das Ablegen der Blumen, die Worte des Trostes und der Ermutigung, das Abschiednehmen von den Toten, sind wichtig und geben Halt. Das Gebet ist nicht nur frommes Geschwätz und der Glaube darf sich bewahrheiten, auch der Glaube an ein Leben nach dem Leben, an ein Leben in der Gemeinschaft mit Gott.
Wäre das kurze Leben der jungen Menschen schon alles gewesen, dann hätte dieses Leben seinen Anspruch verloren. Auch die Frage nach Gott, die in diesem Zusammenhang gestellt wird und werden darf, könnte zu einer leichten Ausrede werden. Ob sich Gott für diese Tat rechtfertigen muss und kann, ist zu bezweifeln.
Und doch wäre mehr Schweigen, Nachdenken, Leben mit dem Ungewissen und Vorläufigen, das Hinterfragen unserer Lebensentwürfe und unserer Lebenskultur, die Frage nach dem Bösen und dem Teuflischen in dieser Welt und die Realität der Sünde im Menschen, nicht völlig daneben gewesen. In derartigen Situationen sollte auch der kollektiven Hektik widerstanden werden. Sensationsgier, blinde Handlungswut, überzogener Aktionismus, der Streit über neue Waffengesetze, Diskussionswut und Spekulationslust bringen uns nicht weiter.
Vieles wird den Sommer über verebben. Die oft blinde Handlungswut ist ein Beweis dafür, dass wir als Gesellschaft es verlernt haben, mit der Unerträglichkeit des Unvorhergesehenen umzugehen und dass Schockstarre zum Normalzustand wird, wenn Fundamente nicht mehr tragen und Leben beliebig geworden ist.
Viele Medien haben den Amoklauf pietätlos ausgeschlachtet. Das Fernsehen abzudrehen, das Radio auf stumm zu stellen, Zeitungen auf die Seite zu legen und mich auch dieses Mal für die „Sozialen Medien“, ihr Geschwätz, ihre Verschwörungen und ihre Dummheiten nicht zu interessieren, war die richtige Entscheidung. Wirklich sachliche Berichterstattung gab es selten. Reißerische Videos von traumatisierten Menschen, Bilder, Interviews und Kommentare ohne informativen Mehrwert bedienten die Schau- und Sensationslust des Publikums, der Schock der Schüler und Opferangehörigen wurde ausgenutzt, um ihnen unter Tränen ein paar Sätze abzusaugen, die dann als exklusive Berichterstattung verkauft wurden.
Journalisten haben den Tatort belagert, um Schüler, Angehörige und Lehrer zu belästigen, zudem das Haus südlich von Graz, in dem der Täter mit seiner Mutter wohnte, vermutlich sogar lebte und in seine virtuelle Welt abtauchte. Er wurde gemobbt, sagen die Medien. Schulen, die der Täter als Schüler kurzeitig besucht hatte und jene, an denen die Mutter des Täters immer nur kurzzeitig unterrichtet hatte, könnten auch anderes erzählen. Der Presserat allein wird den Schlüssel zur Klärung nicht finden.
Vom Ballhausplatz in Wien über den Stephansdom bis ins Parlament, im südlichsten Kärnten und im westlichsten Vorarlberg wurde getrauert, sodass es gar nicht mehr einfach war, Graz als Ort des Geschehens ins Auge zu fassen. Und alle haben geredet, getrauert, gepostet, möglichst zeitnah und herzzerbrechend, die Politiker, die Kirchen, die Parteien, die Psychologen und Therapeuten, die Vereine und Beratungsstellen, von denen es unzählige gibt, auch wenn man bisher nur wenig von ihnen wahrgenommen hat.
Auch das müsste aufgearbeitet werden! Und deshalb bleiben die Fragen, die über diese schreckliche Tat hinausgehen. Sie werden uns noch lange beschäftigen und diese Fragen betreffen unser Leben, unsere reale Welt, sie betreffen uns Menschen, unseren Glauben an Gott, unsere Ehrlichkeit und Offenheit uns und den Menschen gegenüber und auch den Mut, uns viel mehr abverlangen zu dürfen. Die Menschen halten viel aus, Herausforderungen müssen nicht immer Überforderungen sein.
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