Auch heuer sind wir Kroaten aus dem Burgenland, aus Wien, aus Ungarn und der Slowakei wieder nach alter Tradition mit Autos, Bussen, Fahrrädern, Mopeds, Traktoren und in großer Anzahl auch zu Fuß hierher nach Mariazell gekommen. Beim Eintritt in dieses Heiligtum singen wir: „Gekommen sind wir, zu dieser schönen Stunde, Maria, vor dein Antlitz und vor deinen Sohn Jesus, den du auf den Armen hältst, Maria, Mutter von Mariazell.“ Wir sind zu unserer Mutter gekommen.
Was denken wir, wenn wir das Wort „Mutter“ hören?
Das Erste, was mir beim Wort „Mutter“ in den Sinn kommt, ist die Familie.
Die Mutter ist jene, die die Familie zusammenhält, sie ist die Stütze der Familie, oder wie es in einem alten kroatischen Sprichwort heißt: „Die Frau-Mutter hält drei Ecken des Hauses.“ Die Mutter ist diejenige, zu der die Kinder kommen, wenn sie fröhlich und erfolgreich sind, aber vor allem auch dann, wenn sie traurig und erfolglos sind, wenn sie nicht mehr weiterwissen, wenn sie etwas belastet und bedrückt. Ihr können wir unser Leid klagen und unsere Tränen vergießen, mit ihr können wir sprechen, sie hört uns zu, versteht uns, umarmt uns liebevoll, küsst und tröstet uns. Die Mutter ist die Mitte und die Stütze der Familie.
Das moderne Leben hat die Rolle der Frau und Mutter, aber auch unsere Familien verändert und erweitert – in manchem zum Guten, in anderem auch zum Schlechten. Wie auch immer – die Mutter ist und bleibt eine wichtige Stütze und die Mitte der Familie.
Der Apostel Paulus weist im Epheserbrief auf den Wert der Ehe und Familie hin. Ehe und Familie sind und bleiben das Fundament unserer Gesellschaft, auch wenn heute unseren Kindern und Jugendlichen anderes vermittelt wird – durch Medien, manche Lobbyisten und die Politik – im Namen von Freiheit, Fortschritt und Gleichheit. Ehe und Familie waren in der Vergangenheit das Fundament, die erste und wichtigste Schule unseres Lebens und unserer Gesellschaft. Das sind sie auch heute und werden sie in Zukunft sein. Deshalb verteidigt die Kirche Ehe und Familie in unserer Gesellschaft gegen alle Schwierigkeiten, Herausforderungen und Angriffe. Wenn wir Ehe und Familie zerstören, zerstören wir unsere Zukunft, den Fortschritt unserer Gesellschaft und unseres Lebens. Diktaturen und extreme Formen von Demokratie untergraben und entwerten die Familie und die Ehe als etwas Veraltetes, nur um Menschen leichter manipulieren zu können.
Wir wissen gut, wie schön es ist, eine Familie zu haben – einen Ort der Wärme und des Verstehens, wie wohltuend es ist, zu wissen, dass es einen Platz gibt, wo wir so sein können, wie wir sind, einen Vater, eine Mutter und ein Zuhause zu haben, wohin wir in guten wie in schlechten Zeiten kommen können.
Die Mutter von Mariazell lädt uns ein, den Wert und die Bedeutung von Ehe und Familie wiederzuerkennen, unser Familienleben zu pflegen und trotz aller Schwierigkeiten diesen kostbaren Grundpfeiler unserer Gesellschaft nicht selbst zu zerstören. Leben wir nicht nur egoistisch für uns selbst, sondern schenken wir uns in Ehe und Familie einander!
Das Zweite, was mir beim Wort „Mutter“ in den Sinn kommt, ist der Glaube.
Die Mutter ist nicht nur die, die uns geboren hat und durch die wir das Leben empfangen haben, sondern die Mutter ist auch unsere erste Religionslehrerin. Sie hat uns die Hände gefaltet und uns die ersten Gebete beigebracht. Sie hat uns gesegnet und uns in die Kirche geführt, damit wir Jesus, die Schönheit und den Wert unseres Glaubens kennenlernen, und sie hat uns in das religiöse und christliche Leben eingeführt. Neben Priestern, Religionslehrern, Großeltern, Taufpaten und der Pfarrgemeinde ist die Mutter die Schlüsselperson im religiösen Leben. Sich für Gott und den Glauben zu entscheiden, Jesus nachzufolgen im Bestreben, um durch das enge Tor in den Himmel zu gelangen – dazu brauchen wir die Hilfe der Mutter.
Mütter und Väter, seid wieder die ersten Religionslehrer eurer Kinder, wie ihr es bei der hl. Taufe vor Gott und der christlichen Gemeinschaft versprochen habt!
Führt eure Kinder nicht nur zu McDonald’s, in Thermen, Einkaufszentren, Familienparks und gebt ihnen nicht nur Handys und Computer als Spielzeug in die Hand, sondern nehmt sie bei der Hand und führt sie auch in die Kirche – nicht nur zur Erstkommunion und Firmung, sondern auch am Sonntag, an Festtagen und zu unseren Wallfahrten. Betet wieder gemeinsam zu Hause in der Familie und überlasst die religiöse Erziehung nicht anderen. Das ist keine alte Mär, sondern so ist unser Glaube von Generation zu Generation weitergegeben worden bis heute. Nun sind wir an der Reihe, das zu tun! Wenn wir es nicht tun, werden Glaube und Christentum bei uns verschwinden, und unsere Kirchen und Wallfahrtsorte werden sich in tote Museen verwandeln.
Und das Dritte, was mir beim Wort „Mutter“ in den Sinn kommt, ist Sprache und Kultur.
Die Mutter ist unsere erste Lehrerin, von ihr lernen wir die Sprache, darum heißt sie Muttersprache. Gott sei Dank darf ich sagen, dass mich meine Eltern unsere schöne kroatische Sprache gelehrt haben und dass ich sie in der Kirche gehört und gepflegt habe. In der Volksschule in Stinatz habe ich kein Kroatisch gelernt, erst später am Gymnasium in Mattersburg und an der theologischen Fakultät in Zagreb. Darum weiß ich, wie wichtig Mutter und Vater, die Großeltern, die Kirche, der Kindergarten und die Schule für das Erlernen der kroatischen Sprache sind. Am besten ist es, wenn alle zusammenarbeiten, einander helfen und ergänzen – und nicht gegeneinander arbeiten, um staatliche Förderungen zu erhaschen. Viel zu lange wird das schon gemacht, und wir sehen selbst, wohin das führt – wie die Sprache verloren geht und unsere Kinder und Jugendlichen bald nicht mehr Kroatisch sprechen und verstehen. Damit wird unsere so reiche pannonische Heimat verarmen. Die Politik kümmert sich wenig um die Kroaten!
Liebe Eltern und Großeltern, lehrt eure Kinder unsere schöne kroatische Sprache und gebt ihnen unsere wunderbare und reiche kroatische Kultur weiter. Dieses kostbare Geschenk haben wir von Gott empfangen, geben wir es den Kindern und Jugendlichen weiter! Wenn wir wollen, dass unser Burgenland auch in Zukunft reich und vielfältig bleibt, dann müssen wir selbst unsere Sprache und unsere Kultur pflegen und wertschätzen. Eltern, Kirche, Schule, kroatische Vereine, Politik und Medien müssen zusammenarbeiten und einander ergänzen, anstatt einander auszuspielen und anzugreifen. Nur mit Eintracht und Einheit werden wir als Volk bestehen und weiterkommen. Dazu laden uns all unsere kroatischen Wallfahrten auf.
Wir sind wieder zur Mutter von Mariazell gekommen, und sie zeigt uns als wahre Mutter den Weg und ruft uns auf, Ehe und Familie zu bewahren, unseren Glauben an die Jugend weiterzugeben und unsere Muttersprache und kroatische Kultur zu pflegen.
Muttergottes von Mariazell, wir sind als „Pilger der Hoffnung“ in diesem Heiligen Jahr hierher nach Mariazell gekommen vor dein gnadenreiches Bild und bitten dich um deine Hilfe und um deine mütterliche Fürsprache, indem wir gemeinsam dein altes Lied singen: „Bewahre unseren Glauben, stärke die Hoffnung, bekehre, liebe Mutter, alle Verlorenen.“ Mutter von Mariazell, erbitte unserer Welt, besonders der schwer geprüften Ukraine und dem Heiligen Land, den so sehr ersehnten Frieden! Amen.
Foto: Anneliese Rothleitner-Reinisch